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Seit 1992

male ich an Wikingermotiven und mythologischen Darstellungen nordisch-germanischer Gottheiten. Um diese auch korrekt und zeitgemäß anzukleiden und mit ihren zugedachten Waffen und Gegenständen auszurüsten, studierte ich viele historische Aufzeichnungen und Übersetzungen, die sich mit dieser Thematik befassen. Die Besten und Originellsten sind die Originalübersetzungen, die meistens in althochdeutscher Versform niedergeschrieben wurden und für heutige Begriffe äußerst schwer zu lesen und zu verstehen sind. Aus diesem Grunde habe ich mir vorgenommen, aus der aus Jahrhunderten erfolgten Übersetzung und Überlieferung durch Skaldendichtung verklärte Göttersage eine vollständige und wahrscheinlich genaue Wiedergabe der Original-„Edda“, der „Gylfaginning“ hier in diesem Buch darzustellen.

 

Eine zweite Aufgabe

besteht darin, die Bruchstücke der Edda nach einer Gedankenordnung zu verbinden. Wobei ich auch mit der Verchristlichung des Nibelungenmythos aufräumen möchte, der so nie stattgefunden hat. Das Christentum hatte zu dieser Zeit noch keinen Einzug in das Leben der Nord- und Südgermanischen Stämme gehalten, noch gab es zu dieser Zeit Dome und schon gar nicht aus Stein! Die damaligen germanischen Könige thronten in hölzernen, aber reich mit Schnitzerei verzierten Langhäusern. Mönche griffen die alten Mythen auf und schrieben sie nieder. Dabei dichteten sie noch pseudo-kirchlichen Unsinn hinzu. Hier werde ich diesen wieder herauskristallisieren und die Mythen in ihrer Ursprünglichkeit belassen. Außerdem mussten auch Lücken ausgefüllt werden, über die Art z. B., wie von den drei brüderlichen Göttern Odin, Wili und We, die bei der Weltschöpfung gemeinsam tätig waren und die beiden jüngeren Brüder für den späteren großen Götterkreis verschwinden. Dafür enthält die Edda keine Andeutung. Die Lücke musste durch Erfindung ausgefüllt werden. Alles, was hinzugedichtet wurde, der Charakter der Personen und Tatsachen, entspricht im Grunde der ursprünglichen Quelle und ist eigentlich nur als kleinere Ergänzung zu sehen. Nicht Erfindungen im vollen Sinne des Wortes, sondern folgerichtige Ausführungen sind gestattet. Auch mit ihrer Verdeutschung ist für die Auffassung des heutigen Lesers, die Vorstellung und Gedankengängen, die im Geiste des alten Germanen in ihm erweckt wurden.

 

Unsere heutige Kultur

hat uns aus dem Bereich des einstigen Naturempfindens und Verstehens zu weit entführt. Im Großen und Ganzen wurde darauf geachtet, dass der Eindruck des Geheimnisvollen und Wunderbaren nicht verloren ging. Andere Abweichungen von der Darstellung der alten Quelle kamen von der Notwendigkeit, die in dem alten Bericht bloß als Tatsache gemeldet wurde, zu motivieren. Natürlich musste dabei den bezeichnenden Worten des Mythenberichts treu geblieben werden. Irrtümliche Vorstellungen, wie sie aus Simrocks oft sehr grob verfälschender Übersetzung in der Literatur Platz genommen haben, durften auf keinen Fall weiter gepflanzt werden. Fälschlicherweise übersetzte er an einer Stelle, wo eine Zaubertat der Zwerge charakterisiert wird: „Ein Speer, der nie sein Ziel verfehlt.“ Während der Text lautet: „Ein Speer, der nie stille steht.“ Der eigentliche Sinn kann bei so einer Änderung überhaupt nicht zum Ausdruck kommen. Auch haben Anlässe zur Motivierung des vorliegenden Buches in das Gebiet der Psyche geführt. Die bedeutendsten Gottheiten sind voller Widersprüche, die unmittelbar nebeneinander in dem alten Bericht stehen. Hauptsächlich betrifft es Odin. Er baut die Welt auf und beherrscht sie. Aber um Allwissenheit aus einem Zauberquell zu erlangen, muss er sich an eines der Wesen wenden, das durch ihn seine Daseinsberechtigung hat. Zwar führt er den Vorsitz im Gericht, tut aber gegensätz­liche Dinge, die vor seinem Gericht nicht bestehen würden. Die schärfsten Widersprüche treten hervor, in dem er sich mit gänzlich unterschiedlichen Weibern verbindet und die daraus entstandenen Kinder, die die Richtung seines eigenen Wesens teilweise widerspiegeln. Jörd, eine wort- und tatenlose und leidend dahinlebende Göttin. Daneben Frigg, die sich besinnende und bestimmende, liebevoll vorgehende und in Asgard, thronende Hausfrau. Ferner die ungestüme Waldhüterin Grider und andere ganz zu schweigen. Aber alle sind Odins Weiber und ebenso verhält es sich mit seinen Söhnen. Neben dem mächtigen Thor steht der milde Balder und neben dem blinden Höder, der alles durchschauende Heimdall. Neben den liederschwelgenden Bragi, der schweigsame Widar u.s.w. Ebenso ist es mit Thor und Loki: Frau und Kinder mit sehr widersprüchlichen Charakteren. Für die Auffassung des Mythos sind diese Gegensätze weder Widersprüche, noch Zufälligkeiten. Sondern folglich die Ausstrahlungen ein und demselben Charakter nach verschiedenen Seiten. Nach heutigem Wissen überträgt der Gott seine Eigenschaften nach der Vermählung auf sein Weib und die Nachkommen und sie widerspiegeln seine eigenen Kräfte. Hier gab es zum Teil Verschlüsse schwerster Art zu lösen. Für Höders Geburt musste eine Lücke ausge­füllt werden und die Mutter des Blinden benannt werden. Für Heimdall galt es, einen Ausdruck zu erklären, der als großer Widerspruch erscheint: „Heimdall ist Odins und der neun Schwestern Sohn.“ Die Lösung dieser Aufgabe ist mit der Arbeit eines Naturforschers zu vergleichen, der eine körperliche Wahrnehmung in ihre Elemente auflöst. Nachdem wir das altertümliche Geistesspektrum aneinander stellen, fügt sich allmählich alles ineinander. Innere Beziehungen konnten aufgedeckt werden und einige Geheimnisse sind enthüllt wurden.

 

Für die germanische Mythenwelt

ist in Deutschland seit 1872 und in den letzten Jahren um die Jahrtausendwende wieder ein sehr großes Interesse erkennbar. Einen sehr großen Beitrag lieferte damals Richard Wagner mit unglaublicher romantischer Schönheit und Wildheit in seiner Nibelungen Tetralogie und Felix Dahn mit lyrisch getränkter Romantik in seinem Roman „Odins Trost“. Seit dem nimmt das Interesse für diese Thematik ständig zu und wir versuchen, uns in das Naturempfinden und den Gottglauben der germanischen Menschen hineinzuversetzen, die Natur und ihre Kräfte auf uns einwirken zu lassen.

 

Ein sehr großes Hauptaugenmerk

habe ich auf die beigefügten Gemälde und Zeichnungen gelegt, die für dieses Buch in einer jahrzehntelangen akribischen Arbeit entstanden sind. Hier habe ich versucht, Themen inhaltlich und detailgetreu die mythischen Ereignisse darzustellen. Wobei es mir ganz besonders darauf ankam, die Landschaften so echt wie möglich zu malen, um die Vorstellung zu erwecken, dass die Ereignisse gerade eben zu passieren scheinen. Zu den atemberaubenden Naturschauspielen stelle ich die Götter meist mit athletischen Körpern dar, um ihre Göttlichkeit herauszuheben. Das Altertum war eine wunderschöne Zeit, in der die Natur noch intakt war. Riesige Urwälder bedeckten Nordeuropa, in denen noch sehr große Herden von Auerochsen grasten und in denen Bären, Wölfe und Luchse jagten. Das Wasser war klar und es lebten nur einige germanische Stämme weit verstreut in dieser herrlichen Wildnis. Viele Naturschauspiele und Phänomene schufen und bestärkten den alten Menschen in seiner mythologischen Verstellungs- und Denkweise. Es wurde den Göttern geopfert, um sie milde zu stimmen und Naturgewalten und Katastrophen von ihnen abzuwenden. Die Götter sind große germanische Lichtgestalten, die mutig gegen Riesen, Trolle und andere Unholde kämpfen, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren. Leider gibt es auch unter ihnen Neid, Zank und Zwietracht. Oftmals versuchen sie, sich durch böses Ränkespiel größten Schaden zuzufügen und letztendlich gehen sie in einem heroischen Kampf unter. Mutig schlugen und hieben sie auf ihre Feinde ein, bis diese alle und sie selber an den schweren Verletzungen und Todeswunden starben. Das Leben im alten Nordeuropa war hart und rau, genau wie seine Götter. Der Erinnerungsschatz des Kindheit- und Naturzeitalters der germanischen Stämme gehört demjenigen, der seine Kraft daran setzt, es zu verstehen und zur Kräftigung der späteren Zeit nutzbar zu machen. Schon im Mittelalter hat das deutsche Volk, das damals noch junge und eben erwachende Volk, den in ihm noch lebenden mythischen Erinnerungsstoff zu großem literarischem und erzählerischem Volkswerk zu verjüngen und zu erhöhen verstanden. Möge auch jetzt, mehr als ein halbes Jahrtausend später, aus der Wiederbelebung und geistigen Durchdringung der germanischen Mythenvorstellungen den Stämmen des deutschen Volkes eine neue geistige Kräftigung und Einigung zuteil werden! Die Mythen der Edda haben den großen, kräftigen Stamm bewahrt, aus dem alles, was zur „deutschen Mythologie“ gehört, aus ihr erwachsen ist. Ihre schriftliche Aufzeichnung rührt aus einem Lande und einer Zeit, wo die Steigerung des Stammlebens zum Volkstum noch weit entfernt war. Sie sind das treueste Denkmal des Denkens und Dichtens aus der großen prähistorischen Zeit, des Lebens der alten Germanen. Ohne sich dem eingehenden Studium dieses wunderbaren Überrestes der Vergangenheit zugewandt zu haben, wird das Dunkel, das über der Urgeschichte, nicht nur des germanischen, sondern des allgemein menschlichen Geistlebens lagert, schwerlich gehoben werden. Das vorliegende Werk beschränkt sich in objektiver Darstellung auf die sinnbildliche Wiedergabe der großen Mythentragödie, in deren Mittelpunkt ein Charakter steht, den der Leser als erhabensten Helden für das Tragische nicht wieder hat fallen lassen.

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Dem vorliegenden Werk

ist ein ausgiebiges und detailliertes Nachschlageregister angehängt. Es betrifft diejenigen Einzelheiten der Eddamythen, die in den vorstehenden Erzählungen zur Verwendung gekommen sind. Außerdem lege ich eine kurze Übersicht über Ursprung, Sinn und Bedeutung alter germanischer Runenzeichen bei. Die Bemerkungen darin werden denjenigen Lesern willkommen sein, die das Buch nicht nur als Unterhaltungslektüre in die Hand nehmen, sondern „Gedanken verbinden und sich den Stoff vergegenwärtigen.“ Wie kurz und ausgewählt die Bemerkungen auch sind, so werden sie doch genügen, sowohl um den Kundigen die Grundzüge des wissenschaftlichen Systems, dem sie angehören, klarzulegen, wie auch dem Lernenden den Weg zum Einblick in die Erkenntnis zu gewähren.

 

Ralf Bauer Bütof